Kurz & knapp: Führerscheintourismus
Führerscheintourismus beschreibt das Vorgehen, nach einem Fahrerlaubnisentzug im Heimatland ins Ausland zu reisen, um dort den Führerschein neu ausstellen zu lassen. Damit sollen die Auflagen der Behörden des eigenen Landes zur Neuerteilung der Fahrerlaubnis umgangen werden.
Lange Zeit begünstigten die unterschiedlichen Gesetze innerhalb der EU den Führerscheintourismus. Denn zwar kann jeder Mitgliedsstaat seine eigenen Vorschriften zur Erteilung der Fahrerlaubnis festlegen, doch diese muss trotzdem im gesamten EU-Raum anerkannt werden.
Strengere Regelungen und diverse Urteile erschweren den Führerscheintourismus seit mehreren Jahren, sodass er heutzutage kaum mehr in der Praxis vorkommt.
Was bedeutet Führerscheintourismus?
Inhaltsverzeichnis
Wer sich als ungeeignet erweist, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr sicher zu führen, dem kann die Fahrerlaubnis wieder entzogen werden. In Deutschland geschieht dies in der Regel dann, wenn sich ein Autofahrer einer Verkehrsstraftat schuldig gemacht oder andere Verkehrsteilnehmer durch sein Verhalten in besonderem Maße gefährdet hat.
Möchte er dann eine Neuerteilung seiner Fahrerlaubnis beantragen, muss er hierzulande meist eine mehrmonatige Sperrfrist abwarten. Zudem wird der Führerschein in den meisten Fällen nur dann neu ausgestellt, wenn der Verkehrssünder die erfolgreiche Teilnahme an einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) nachweisen kann. Diese ist jedoch nicht nur teuer, sondern für viele auch schwer zu bestehen.
Eine derartige Prüfung der Fahrtauglichkeit erfolgt jedoch nur in wenigen Ländern Europas. In vielen unserer Nachbarstaaten wird ein Führerschein sofort nach Ablauf der Sperrfrist neu ausgestellt. Um daher eine MPU in Deutschland zu umgehen, reist so mancher Betroffene ins Ausland, um einfach dort seinen Führerschein zu beantragen. Dies wird als Führerscheintourismus bezeichnet.
Hintergrund dieses Vorgehens, welches heute kaum noch auftritt, war der, dass jeder Staat eigene Gesetze bezüglich der Erteilung eines Führerscheins festlegen kann, was zu einer großen Rechtsungleichheit innerhalb der EU führt. Gleichzeitig gilt, dass ein Führerschein, der in einem Mitgliedsstaat der EU oder des EWR ausgestellt wurde, von allen anderen Mitgliedsstaaten anerkannt werden muss.
Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis sind in der Regel die bestandene Führerscheinprüfung sowie ein fester Wohnsitz im Ausstellungsland für wenigstens 185 Tage im Kalenderjahr. Da die Verkehrsvorgeschichte des Betroffenen in der Regel im Ausland nicht bekannt ist, wissen die dortigen Behörden üblicherweise nichts von dessen früheren Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr seines Heimatlandes. Diese nicht staatenübergreifende Registerführung begünstigte den Führerscheintourismus.
Führerscheintourismus: Polen und Tschechien lange Zeit die beliebtesten Ziele
Als Polen und Tschechien am 1. Mai 2004 der EU beitraten – zusammen mit 8 weiteren Staaten –, wurden sie damit gleichzeitig zu beliebten Zielen für den deutschen Führerscheintourismus.
Dies hatte mehrere Gründe: Zum einen waren diese Länder von Deutschland aus gut zu erreichen und zum anderen waren die Kosten für den Erwerb eines Führerscheins hier deutlich geringer als bei uns.
Vorgehen gegen den Führerscheintourismus
Seit Januar 2007 gilt die dritte Führerscheinrichtlinie in Europa, welche in Deutschland am 19. Januar 2009 in nationales Recht umgesetzt wurde. Die damit eingeführten Neuerungen trugen wesentlich dazu bei, den Führerscheintourismus zu unterbinden:
- Fortan war ein ordentlicher Wohnsitz im Ausstellungsland ausnahmslos zwingende Voraussetzung, damit ein ausländischer Führerschein in Deutschland anerkannt wird. Der Führerscheininhaber ist damit verpflichtet, mindestens 185 Tage im Jahr in dem betreffenden Land zu wohnen.
- Des Weiteren durfte ein EU-Mitgliedsstaat seitdem die Anerkennung eines ausländischen Führerscheins ablehnen, wenn dem jeweiligen Führerscheininhaber zuvor die Fahrerlaubnis im eigenen Land entzogen worden war.
Damit wurde der Führerscheintourismus praktisch obsolet. Denn die niedrigeren Fahrschulkosten im Ausland stehen in keinem Verhältnis zu den zusätzlichen Ausgaben für einen dortigen Wohnsitz. Und selbst wenn ein Autofahrer diese auf sich nimmt: Wurde ihm zuvor in Deutschland der Führerschein entzogen, wird seine ausländische Fahrerlaubnis hier nicht anerkannt – zumindest nicht, ehe er nicht die nötigen Auflagen für eine Neuerteilung (Sperrfrist, MPU etc.) erfüllt hat.
Urteile zum Führerscheintourismus: Bundesverwaltungsgericht und EuGH 2008
Noch bevor die dritte Führerscheinrichtlinie in Deutschland in Kraft trat, beschäftigte sich bereits das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig mit dem Phänomen des Führerscheintourismus. In einem Urteil vom 12. Dezember 2018 bestätigte dieses das Recht der deutschen Fahrerlaubnisbehörde, die Anerkennung eines im Ausland ausgestellten Führerscheins zu verweigern.
Die Kläger, deren ausländische Fahrerlaubnis hierzulande nicht anerkannt worden war, hatten gegen die Wohnsitzerfordernis und die Auflagen zur Führerscheinneuerteilung in Deutschland verstoßen.
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